FREDI HÜberli
Jede Fotografie, die ich mir ansehe, „zwingt“ mich dazu, den Standort des Fotografen einzunehmen.
Standpunkt und Fotografie
Es gibt keine an sich richtigen oder falschen Standorte.
Menschen gehen und stehen in der Welt und nehmen den Dingen gegenüber Standpunkte ein, aus unterschiedlichen Gründen, mit verschiedenen Interessen: um Dinge zu betrachten und zu bedenken, um sich ein Bild von einer Sache zu machen.
Wer fähig ist, einem Objekt gegenüber verschiedene Standpunkte einzunehmen, gewinnt eine reichere Weltanschauung:
„(...) Es giebt nur ein perspektivisches Sehen, nur ein perspektivisches ‚Erkennen‘; und je mehr Affekte wir über eine Sache zu Worte kommen lassen, je mehr Augen, verschiedne Augen wir uns für dieselbe Sache einzusetzen wissen, um so vollständiger wird unser ‚Begriff’ dieser Sache, unsre ‚Objektivität‘ sein. (...)“
Friedrich Nietzsche in „Zur Genealogie der Moral“
Fotografierend mache ich beides: Ich wähle im einen Fall meinen Standort einer Sache gegenüber bewusst und begründet, zum Beispiel um meine innere Haltung dazu deutlich zu machen. Im andern Fall ertappe ich mich dabei, wie ich einen Standpunkt einnehme, ohne darüber nachzudenken, weil Sympathie oder Antipathie mich an einem Ort festhalten.
Jede Fotografie, die ich mir ansehe, ‚zwingt‘ mich dazu, den Standort des Fotografen einzunehmen.